Am gestrigen Abend gab es eine Reihe umfangreicher Kapitalmaßnahmen. Sie alle haben den Markt bewegt. Und eine sogar die Gemüter. — Eine Replik.
Dem Umfange nach war es die kleinste Kapitalerhöhung am gestrigen Handelstag, allerdings hat sie mit Abstand die höchsten Wellen geschlagen: Die Kapitalerhöhung der Talis Reinsurance AG. Rekapitulieren wir aber kurz die Ereignisse, ehe wir uns an ihre Würdigung machen:
Die Talis Reinsurance AG hatte zum Stichtag 1. April einen Buchwert in Höhe von 1.271.970€, dies entspricht einem Buchwert/Aktie von 1,27€. Die Kapitalerhöhung am 2. April erfolgte durch die Ausgabe von 1.000.000 neuen Aktien zum Kurs von 500€ und erbrachte für das Unternehmen Erlöse von 500 Mio. €. Finanziert wurde die Kapitalerhöhung durch die Dahl Insurance Group mit 100 Mio € sowie durch die Solid Profit AG mit 400 Mio €.
Dieses Verfahren sowie der Ablauf riefen nun einige Kritiker auf den Plan, die darin erhebliche Verwerfungen zum Nachteil des Gesamtmarktes ausgemacht haben wollen. Ich beziehe mich in dieser Replik hauptsächlich auf einen entsprechenden Zeitungsartikel der German Security AG, daneben aber auch auf eine Flugschrift zum Thema, die über Privatnachrichten kommuniziert wurde und halte sie der Übersichtlichkeit halber in der Form von Frage und Antwort:
(1) Wieso erhält eine AG, die bis vor kurzem faktisch inaktiv war, eine so hohe Summe Geld von zwei großen Investoren?
Die Talis Reinsurance AG war nicht inaktiv, weil sie keine Handelsgelegenheiten entdeckt hätte oder deren Vorstand nicht imstande gewesen wäre, solche ausfindig zu machen. Die Inaktivität war eine flankierende publizistische Maßnahme, um das sich grotesk lange hinziehende IPO (siehe: Markteintritt) zu beschleunigen.
Dies war notwendig, da nach dem Wiedereintritt des Vorstands Müller in den Markt und das Bekanntwerden der Tatsache, daß es sich bei ihm um den kurz zuvor ausgeschiedenen ehem. Vorstand der Hanso Trust Banks handelte, die Ausgabekurse der Aktien durch Panikkäufe in Kursregionen befördert wurden, die die Talis-Aktie faktisch zur Unhandelbarkeit verdammt hatten. Andere Versuche, die Kurseskalation zu dämpfen, waren darüber hinaus ergebnislos geblieben, daher war die „Finte“, die AG nach außen als inaktiven „AG-Mantel“ darzustellen, verhältnismäßig, zweckdienlich und sachgerecht.
(2) Liegt es nicht eher daran, daß der ehem. Vorstand der Hanso Trust Banks über entsprechendes „Vitamin B“ verfügt, um sich von seinen Klassenbrüdern aus der Hochfinanz komfortabel ausstatten zu lassen?
Neben Information und Zeit ist Vertrauen in die Fähigkeiten und die Erfahrung eines Marktakteurs die wichtigste Ressource auf den Finanzmärkten. Dieses Vertrauen fällt weder vom Himmel noch wird es im Form eines hoheitlichen Gnadenakts gewährt, schon gar nicht stammt es aber aus der Zugehörigkeit zu einer entsprechenden „Kaste“. Es muß durch die demonstrierte Fähigkeit zum rationalen Umgang mit großen Summen und zum Erzielen entsprechender Renditen erarbeitet werden – also durch Leistung.
Bei Newcomern, die noch nie zuvor auf dem Parkett waren, kann man diese naturgemäß nur durch einen entsprechenden „Track Record“ nachweisen, also handfeste Ergebnisse, wie sie in der Bilanz stehen. Bei Akteuren, die bereits zuvor am Markt tätig waren, kann dieser Track Record auch auf persönlichen Erkenntnissen, also der „Historie“ beruhen, die nicht in der Bilanz steht. Zu wissen, um wen genau es sich handelt, dem man das Kapital seiner AG mittels Beteiligung zur Verfügung stellt, gehört zu den unbedingten fachlichen Voraussetzungen jeder Investitionsentscheidung, ansonsten handelt es sich um Glücksspiel unter Hasardeuren und nicht um einen Kapitalmarkt zwischen Investoren.
(3) Wieso der hohe Kurs von 500€/Aktie, der dem ca. 394-fachen des bisherigen Buchwerts/Aktie entspricht? Ist das nicht jenseits aller Maßstäbe?
Der Kurs ist zweifelsohne ambitioniert. Aber gemessen an der Zahl der ausgegebenen Aktien, die benötigt wurden, um das Volumen zustande zu bringen, war er schonend und rational gewählt. Oder anders formuliert: Man hätte die gewünschte Summe von 500 Mio. € auch durch mehrmalige Verdoppelung der Aktienzahl zu geringeren Kursen generieren können, hätte in diesem Falle allerdings das Kapital auf zu viele Aktien verteilt und die Ergebnisse zu sehr verwässert.
Ferner basiert der Einwand auf einem logischen Widerspruch, dem Paradox des Haufens: Ab wann ist ein Kurs „unverhältnismäßig hoch“ und „jenseits aller Maßstäbe“? Beim 20-, 50-, oder 100-fachen des BW/Aktie? Und wenn ja, warum dann nicht erst beim 21-, 55- oder 101-fachen oder bereits beim 19-, 49- oder 99-fachen? Wo ist die Grenze zur „Unverhältnismäßigkeit“? Und warum wird die Bestimmung solcher Grenzen plötzlich wichtig, wenn es sich um die Investition in einen bewährten Vorstand mit bewährter historischer Marktpräsenz handelt, aber nicht, wenn Newcomer zum 20-fachen ihres FP/Aktie gekauft werden?
Abschließend: Die durchschnittliche Bewertung der Talis-Aktie, wie sie sich anhand des Verhältnisses von Börsenwert/Buchwert darstellt, lag in den Wochen vor der Kapitalerhöhung bei 300-1800%. Nach der gestrigen Kapitalerhöhung liegt dieses Verhältnis bei 350%. Die Bewertung ist folglich gesunken.
(4) Wie soll man neuen, aufstrebenden AG-Vorständen erklären, daß sie sich das Vertrauen des Marktes erst erarbeiten müssen, bevor sie so hohe Summen anvertraut bekommen?
Indem man auf die Geschehnisse des gestrigen Abends verweist, weil der Vorstand der Talis Reinsurance AG dafür das beste Beispiel ist: Auch ihm ist das Vertrauen anderer Marktakteure nicht in den Schoß gefallen, auch er mußte es sich erarbeiten – allerdings mit einer anderen AG als seiner jetzigen.
(5) Die ganze Angelegenheit wirkt, als sei sie von den Beteiligten abgesprochen worden.
Das liegt daran, daß es genau so war. Wer tatsächlich glaubt, man könne eine Kapitalerhöhung dieses Umfangs binnen weniger Stunden ohne vorherige zeitige Planung und Koordination durchführen, der muß entweder sich oder den jeweiligen Akteuren ernsthafte Fragen nach der Geschäftsfähigkeit stellen, weil entweder die Beteiligten hunderte von Millionen bewegen, ohne zu wissen, wohin und wofür, oder außenstehende Beobachter der Halluzination erliegen, dergleichen sei tatsächlich möglich.
(6) Ist das nicht ein Verstoß gegen §§ 1 Satz 1 und 1 lit. b) des Regelwerks?
Nein. Die Kapitalerhöhung wurde von Beteiligten finanziert, die bereits vorher mehrheitlich Besitzer der Talis Reinsurance AG gewesen sind; diese waren also gleichermaßen Quelle wie Ziel der FP-Steigerung, die durch die Kapitalerhöhung generiert wurde – dieses Vorgehen diente gerade dem Schutz der Aktionäre der beteiligten AGs. Außerdem ist entgegen landläufiger Meinung die Kapitalerhöhung nicht „für lau“ und in bar abgewickelt worden, sondern durch einen Asset-Tausch: Mit den durch die Kapitalerhöhung erlösten Mitteln hat Talis den KE-Investoren Positionen aus deren Depot abgenommen.
Damit sind zugleich zwei Ziele erreicht worden: Talis Re sollte nicht auf einem Haufen Bargeld sitzen, der erst umständlich und wahlweise langwierig oder FP-schädlich am Markt untergebracht werden muß, sondern sollte zeitnah eine brauchbare Kapitalausstattung in Form greifbarer Assets erhalten; die Investoren sind ihrerseits damit auch ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Aktionären nach gekommen, indem sie vorübergehende faktische Entscheidungshoheit über die Depotzusammensetzung der Aktiengesellschaft erhalten haben, in die sie wesentliche Summen investiert haben.
9 comments for “Denn sie wussten, was sie tun …”