Ein Nischenprodukt des Börsenmarktes

Anlage mit Seltenheitswert: Zertifikate

Während die Umsätze bei Aktien und Anleihen zuletzt einen starken Anstieg verzeichneten, wird die Anlageklasse der Zertifikate am Börsenmarkt fast zu einer Art Geheimtipp. Worin liegen die Ursachen für diese Entwicklung und wie stehen die Aussichten, dass Zertifikate einen breiteren Investorenkreis für sich erschließen können?

Der Umsatz mit Zertifikaten ist fast seit Bestehen dieser Investitionsmöglichkeit so niedrig, dass der Durchschnittswert der gezeichneten Zertitikate aller Depots konstant außerhalb des statistisch messbaren Bereichs liegt und somit Null beträgt. Im Vergeich der absoluten Zahlen der letzten 24 Stunden vom 27.12.2012 um 09:55 Uhr zeigt sich eine deutliche Marginalisierung des Zertifikatehandels gegenüber den anderen Anlageklassen: Während in den vergangenen 24 Stunden 4.028 Aktien-Orders mit einem Volumen von rund 46,5 Mio. € ausgeführt sowie 201 Anleihen im Wert von 35,95 Mio. € gezeichnet wurden, investierte der Markt lediglich rund 2,7 Mio. € in die bescheidene Anzahl von ganzen 34 Zertifikaten.

Diese Relation zwischen den Anlageklassen ist nicht neu, die Zertifikate sind nach Ende der Anfangseuphorie zu ihrer Einführung als neue Anlagemöglichkeit schnell ins Hintertreffen gegenüber Aktien und Anleihen geraten. Wir haben einige erfahrene Großinvestoren an der Börse zu den von ihnen vermuteten Ursachen für die verhaltene Investition in Zertifikate und den Zukunftsaussichten für diese Anlageklasse befragt.

2984Herr Scheuer von der Solid Profit AG macht das hohe Risiko des Zertifikatehandels für die Zurückhaltung verantwortlich: So sei „[d]er Zertifikatsmarkt ein Feld für risikoaffine Anleger. Die wenigsten Marktteilnehmer sind aber bereit solche hohen Risiken einzugehen, was man auch am sehr hohen Anleihenvolumen ablesen kann“. Verluste, die aus einer ungünstigen Zertifikatspekulation resultieren, führten außerdem bei vielen Anlegern dazu von weiteren Investitionen in dieses Anlageprodukt abzusehen.

Dies könnte als eine Art Lerneffekt bezeichnet werden, der sich durchaus mit den Beobachtungen nach Einführung der Zertifikate deckt: Zu Anfang wurden Zertifikate sehr stark gehandelt, in Folge dessen kam es jedoch bei einigen Anlegern zwangsläufig zu großen Verlusten. Daraus zogen damals schon die ersten Anleger Konsequenzen und zogen sich vollständig vom Zertifikatehandel zurück, andere versuchten die ersten Verluste durch waghalsige Anschlusswetten auszugleichen. Das Resultat: Spektakuläre Gewinne bei wenigen, spektakuläre Pleiten bei den meisten anderen inzwischen „Zertizocker“ genannten.

MLMAuch der momentan wieder größte Investor am Börsenmarkt, Herr Madoff von der MLM System AG, sieht das Risiko als einen entscheidenden Faktor für die relative Unbeliebtheit der Zertifikate. Außerdem spiele „der sehr niedrige Hebel eine wichtige Rolle, der Zertifikate unattraktiv macht„. Als weitere mögliche Ursache sieht Herr Madoff, dass sich manche Spieler nicht den Aufwand machen wollen den AGSX genau zu beobachten und dadurch die Auszahlung der Zertifikate zu prognostizieren. Hinzu komme die Regulierung der Handelsmöglichkeiten bei Zertifikaten nach deren Einführung.

5583Ähnlich wie Herr Madoff ist auch der Vorstandsvorsitzende von der Löwenstein Invest AG der Meinung, dass die relativ zum hohen Risiko eines Totalverlustes niedrigen Hebeln den wichtigsten Grund für die Zurückhaltung bei den Zertifikaten darstellen. Das eingegangene Risiko werde zu gering entlohnt. Auch für die Zukunft sieht Herr Löwenstein keine Besserung der Lage, da sich zusätzlich das Problem stellt, dass bei zu großer Nachfrage die Hebel zu klein werden und damit die Entlohnung des Risikos noch geringer als ohnehin schon ausfalle. Als Vorschlag zu einer Steigerung der Attraktivität von Zertifikaten regte Herr Löwenstein an das Handeln mit gezeichneten Zertifikaten zu ermöglichen, sodass eine Art Sekundärmarkt für Zertifikate entstünde.

5095Die Tatsache, dass der Zertifikatehandel auf Grund seines hohen Risikos gescheut wird, sieht Herr Santori von der Wolve Group zu einem wesentlichen Teil darin begründet, dass sich die meisten Spieler nicht ausreichend mit der Funktionsweise und den Chancen des Zertifikatewesens beschäftigen. Die daraus resultierende Unkenntnis führe zu Unsicherheit und Angst vor dieser Anlageklasse. Andererseits seien die zum Teil spektakulären Gewinne, die bei den Zertifikaten möglich seien, für die Wagemutigsten immer wieder ein Anreiz zur Spekulation.

In der Bewertung der näheren Zukunft des Zertifikatehandels waren sich alle Befragten weitestgehend einig: Während die Herren Löwenstein, Santori und Madoff darin überein stimmten, dass der Zertifikatehandel unter gleich bleibenden Umständen keinen nennenswerten Aufschwung erleben wird, wollte Herr Scheuer immerhin einen Anstieg des Zertifikatevolumens nicht ausschließen. An der relativen Bedeutungslosigkeit der Zertifikate im Vergleich zu Aktien und Anleihen ändere sich allerdings voraussichtlich wenig. Herr Scheuer betonte jedoch, dass Zertifikate trotz ihres Risikos die potenziell renditestärkste Anlageklasse sei und insbesondere für kleine AGs böten sich hier gute Möglichkeiten schnellen Wachstums. Sobald die Risikofreue anstiege, würden auch die Zertifikate davon profitieren.

Zusammenfassend kann mal also sagen, dass die Zertifikate auch weiterhin nicht an den Handel mit Aktien und Anleihen heranreichen werden. Als wichtigste Gründe hierfür kann man zum einen das hohe Verlustrisiko, zum anderen den relativ hohen Aufwand der Analyse und teilweise auch die Unkenntnis hinsichtlich der Funktionsweise des Zertifikatemarktes ausmachen. Trotzdem bleiben die Zertifikate für findige Anleger ein guter Geheimtipp. Möglicherweise erfahren die Zertifikate mehr Zuspruch wenn der FP30 reformiert wurde und es dann nicht mehr so leicht sein wird den AGSX zu beeinflussen.

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Wir danken den Vorstandsvorsitzenden der Solid Profit AG, MLM System AG, Löwenstein Invest AG und der Wolve Group für ihre bereitwilligen Auskünfte.

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