Das Problem
Welche Aktie soll ich kaufen? Diese Frage stellen wir uns alle tagtäglich im AG-Spiel. Es gibt viele verschiedene Antworten. Die meisten schauen auf die Fundamentaldaten. Sie gucken also, ob eine AG schön wächst, ob sie ein tolles Depot hat oder ob die Trades der AG gewinnbringend waren. Andere wiederum handeln nach technischen Indikatoren: Besteht ein Aufwärtstrend? Wo liegen die Widerstände und Unterstützungen? Hat der Kurs den Trendkanal verlassen? Wie schaut das Orderbuch aus? Ist das ein Doppel-Top und geht es jetzt wieder bergab? Wieder andere verlassen sich auf Highscores oder Ratings oder hören sich im Chat um, um die Marktstimmung herauszufinden.
Alle diese Ansätze kann man vereinfacht zusammenfassen: Die Händler suchen gute Aktien. Egal, wie sie bewerten, sie kaufen am Ende das, was sie als gut empfinden. Sie holen sich die Aktien ins Depot, von denen sie glauben, sie werden steigen. Heute sage ich Euch: Das ist alles Schwachsinn! Ihr investiert blödsinnig und werft Euer Geld zum Fenster raus. Man sollte keine guten Aktien kaufen, sondern schlechte!
Der Value-Effekt
Auch an den Börsen im echten Leben existiert der Value-Effekt. Vereinfacht gesagt, ist Value-Effekt der Name für das Phänomen, dass schlecht bewertete Aktien (sog. Value-Aktien) langfristig besser performen, als gut bewertete Aktien (sog. Growth-Aktien). Im wahren Leben ist dieser Effekt sehr deutlich nachweisbar und begründbar. Was liegt also näher, als mal zu schauen, ob es diesen Effekt auch im AG-Spiel gibt.
Zunächst müssen wir überlegen, wie man den Effekt messen könnte. Dafür ist es notwendig, die Aktien zu klassifizieren und dann anhand der Klassifizierungen die verfügbaren Daten zu untersuchen.
Für meine Untersuchung habe ich alle Bilanzen im Spiel analysiert. Für jede AG und jeden Monat wurde in stundenlanger Kleinstarbeit der Kurs, der BW/Aktie und der FP notiert. Anschließend noch das Kurswachstum für jede AG für jeden Monat.
Dann habe ich die Aktien klassifiziert. Ich bin dabei von der Weisheit des Marktes ausgegangen. Meine Annahme ist: Der Markt weiß schon, welche Aktien gut und welche schlecht sind. Gute Aktien (Growth) müssten also besonders teuer sein, während schlechte Aktien (Value) besonders billig sind. Dabei sind dann folgende Klassifizierungen herausgekommen:
- BW-Growth-Aktien – Dies sind Aktien, deren Verhältnis von Kurs zu BW/Aktie besonders groß ist, also solche Aktien, die im Verhältnis zu ihrem Buchwert besonders teuer sind. In diese Gruppe kommen die Aktien, deren Börsenwert/BW über dem Median liegt.
- BW-Value-Aktien – Dies sind Aktien, deren Verhältnis von Kurs zu BW/Aktie besonders klein ist, also solche Aktien, die im Verhältnis zu ihrem Buchwert besonders billig sind. In diese Gruppe kommen Aktien, deren Börsenwert/BW unter dem Median liegt.
- FP-Growth-Aktien – Dies sind Aktien, deren Verhältnis von Kurs zu FP besonders groß ist, also solche Aktien, die im Verhältnis zu ihrem FP besonders teuer sind. In diese Gruppe kommen die Aktien, deren Kurs/FP über dem Median liegt.
- FP-Value-Aktien – Dies sind Aktien, deren Verhältnis von Kurs zu FP besonders klein ist, also solche Aktien, die im Verhältnis zu ihrem FP besonders billig sind. In diese Gruppe kommen Aktien, deren Kurs/FP unter dem Median liegt.
- Vormonats-Growth-Aktien – Dies sind Aktien, die im Vormonat besonders gut performt haben, also solche, die im letzten Monat einen starken Kursschub nach oben hatten. Alle Aktien mit einer Vormonats-Kursperformance über dem Median kommen in diese Gruppe.
- Vormonats-Value-Aktien – Dies sind Aktien, die im Vormonat besonders schlecht performt haben, also solche, die im letzten Monat einen starken Kursschub nach unten hatten. Alle Aktien mit einer Vormonats-Kursperformance unter dem Median kommen in diese Gruppe.
Analyse
Im Graphen sehen wir deutlich, dass im Schnitt BW-Value-Aktien besser performen, als BW-Growth-Aktien. Im Schnitt legen Value-Aktien fast 6% stärker im Kurs zu. Lediglich in vier Monaten während des Beobachtungszeitraums war das anders. Oftmals sind BW-Value-Aktien mehr als doppelt so gut. Anfang 2014 war der Effekt noch stärker ausgeprägt als jetzt. Das ist zum einen auf den Survivorship Bias zurück zu führen, da sehr schlechte Aktien liquidiert werden und dann keine Bilanzdaten mehr verfügbar sind, vor allem aber auf die steigende Spielerzahl, die den Markt effizienter macht. Dennoch ist der Value-Effekt über das ganze letzte Jahr gut sichtbar.
In diesem Graphen sehen wir wieder sehr deutlich, dass FP-Value-Aktien besser performen als FP-Growth-Aktien. FP-Value-Aktien performen auch wieder fast 6% besser als FP-Growth-Aktien. Wieder ist dieses Verhältnis in 4 Monaten umgedreht und wieder sind FP-Value-Aktien oftmals mehr als doppelt so gut, wie FP-Growth-Aktien.
Der letzte Graph zeigt uns, dass Vormonats-Value-Aktien im Schnitt besser sind als Vormonats-Growth-Aktien. Lediglich in drei Monaten war das Verhältnis anders. Erstaunlich ist der April 2014, in dem Growth-Aktien enorm zulegen konnten. Dies scheint mir aber ein einmaliges Ereignis zu sein. Im Schnitt haben die Vormonats-Value-Aktien fast 1,5% besser performt.
Begründung
Woran liegt es, dass schlechte Aktien besser performen als gute Aktien? Ganz genau kann man das natürlich nicht sagen, aber ich habe ein paar Erklärungsversuche:
- Risiko – Der Markt belohnt Investoren, die (empfundene) Risiken auf sich nehmen. Investoren haben Angst davor, dass jemand eine AG an die Wand fährt oder ein Spieler das Spiel beendet und die AG liquidiert wird. Sie verkaufen aus Sorge die Aktien. Wenn nun das Horrorszenario doch nicht eintritt, steigt der Kurs wieder und der mutige Aktionäre hat ordentlich Gewinn gemacht.
- Mode – Es gibt Aktien, die In sind und solche, die Out sind. Für die Trend-Aktien sind viele bereit, mehr zu bezahlen. Wenn sich dann herausstellt, dass die Aktien gar nicht so super waren, müssen sie mit Verlust oder wenigstens sehr niedrigem Gewinn wieder abgestoßen werden. Eine andere Mode ist z.B. die Verdammung der Riesen. Es gehört zum guten Ton, große AGs schlecht zu finden und zu verramschen. Die Großen sind aber gar nicht so schlecht, wie alle glauben. Oftmals sind sie objektiv unterbewertet (Value) und können die besseren Tradingchancen bieten, als überteuerte kleine AGs (Growth).
- FP-Fetisch – Dies ist in meinen Augen der wichtigste Grund. Viele Spieler unterliegen dem Irrglauben, dass der FP den wahren Wert einer Aktie beschreibt. Sie denken sich: „Oh, die ABC-Aktie ist total gut, da bezahle ich 100% mehr als sie Wert ist [sic, in Wahrheit meinen sie: 100% über FP]. Verdammt, die XYZ-Aktie ist total schlecht, da zahle ich nur 50% unter FP.“ Sie merken dann aber, dass ihre Einschätzung gar nicht richtig war, oder sich das Wachstum der AG verlangsamt/beschleunigt hat. Sie wollen wieder verkaufen und denken: „Naja, ABC ist nicht mehr so super, aber 90% über FP kann ich ja wohl verkaufen. XYZ ist immer noch Mist, aber nicht mehr ganz so großer Mist, die verkaufe ich mal 25% unter FP.“ Der Spieler denkt jetzt, er hätte ABC mit Gewinn verkauft und wäre XYZ gerade noch rechtzeitig losgeworden. In Wahrheit hat er mit XYZ (Value-Aktie) das viel bessere Geschäft gemacht als mit ABC (Growth-Aktie).
Fazit
Wie soll man jetzt auf diese Erkenntnis reagieren?
Die wichtigste Erkenntnis ist wie immer: Hirn anschalten! Die anderen Spieler täuschen sich ganz offensichtlich häufig bei der Bewertung von Aktien. Viele geben zu viel Geld für tolle Aktien aus und verlangen zu geringe Preise für schlechte Aktien – Buy high, sell low scheint die Devise zu sein. Das kann aus Angst oder aus mangelndem Verständnis geschehen. Die Angst ist manchmal begründet, denn Value-Aktien haben eine höhere Liquidationswahrscheinlichkeit und eine größere Volatilität – ihr Risiko ist also höher. Dieses Risiko wird im Schnitt aber mit einer deutlich höheren Rendite belohnt. Eine sehr gute Strategie könnte also ein gut diversifiziertes Value-Depot sein. Wer im letzten Jahr stumpf alle Value-Aktien gekauft hätte, hätte den Markt geschlagen! Einzelne Value-Aktien sollte man aber nicht kaufen – das ist reines Glücksspiel.
Auch die Techniker unter den AG-Spielern sollten Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen ziehen: Ein reiner Trendfolgeansatz kann nicht funktionieren! Tatsächlich erreicht eine solche Strategie genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen soll. Sie lässt einen ins fallende Messer greifen. Wer technisch investieren will, braucht mehr Indikatoren als nur den reinen Trend. Ohne Chartformationen und Trendwendeprognose geht hier gar nichts.
Und vor allem muss man mal wieder sagen: Kill your Darlings! Es gibt viele Mythen und Irrtümer, die man als erfolgreicher Spieler auch gegen das eigene Empfinden über Bord werfen muss. Es ist blödsinnig eine vermeintlich gute Aktie zu halten, wenn sieh die Qualität nicht im Kurs niederschlägt. Es ist blödsinnig, nur Newcomer zu kaufen und nicht auch in anderen Marktsegmenten nach Chancen zu suchen. Und der größte Schwachsinn überhaupt ist es, seine Handelsentscheidung nur vom FP abhängig zu machen. Wer das tut, verschenkt Geld an die wirklich guten Spieler!
4 comments for “Der Value-Effekt oder „Warum gute AGs schlechte Investments sind“”